1998
„Der Begriff Angst“, Leonhardy Museum Dresden, (solo)
Installation at Leonhardy Museum Dresden about the tractate by Sören Kierkegaard respectively the subject of escapism of the Romantic
concept
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Diese Installation nimmt zum einen Bezug zu den romantischen Waldbildern von Eduard Leonhardy bzw. dem klassizistisch architektonischen Ambiente des Leonhardy Museums und stellt diesem die Kälte der modernen Industrielandschaft in Form von rohen Stahlkörpern gegenüber.

Zum anderen thematisiert diese Arbeit Sören Kierkegaards Abhandlung „Der Begriff Angst“. „Angst“ als das bestimmende Element unseres Daseins, als die bewusste Wahrnehmung der Möglichkeit zur Freiheit und damit der Verantwortung für sein Leben.

Neben der opulenten Präsenz von den Raum besetzenden Stahlkörpern wird diese Installation wesentlich durch eine Acht-Kanal-Sound Installation getragen.

Diese vermischt verschiedene Klänge und Musikfetzen zu einem Soundteppich, der sich phasenweise zu einem einzigen Klang, einer nachhallenden Harmonie zusammenfindet.

 

1998, „Palimpsest des Raumes“ (deutsch), Harald Kunde

veröffentlicht im Buch "Behälter" 1999

Langsam, aber stetig arbeitet Till Exit sich in museale Strukturen hinein. Vergegenwärtigt man sich den Charakter der Orte, die bisher den Rahmen seiner Interventionen bildeten, ist ein Wechsel auszumachen von stark atmosphärisch aufgeladenen Umgebungen, die selbst zum Subjekt der jeweiligen Handlungen wurden, zu neutraleren Hüllen, die nurmehr noch als “Behälter” fungieren. Die nicht zu besiegende Präsenz solcher locations wie Kohlenkeller (“Blur”), aufgegebener Industrieruinen (“Sink of time”, “Beyond II”) oder ehemaliger Nonnenkloster (“Silence”) wurde im Zuge dieser Untersuchungen zwischen “Resignation und Resurrektion” (Klaus Werner) akzeptiert und dient fortan als Erinnerungsfundus, der in objekthaft verdichteter Weise in die nun cleaneren Kuben von Galerien und Museen gehievt wird. Damit vollzieht Exit eine Entwicklung vom Tatsächlichen, das zwar authentisch, aber endlich in seinem Mitteilungsvolumen ist, hin zum Symbolischen, das den Verlust der Aura von Originalschauplätzen in der Überlagerung von Bedeutungsebenen und “mentalen Landschaften” kompensiert. Ob ihm das bekommt oder nicht, wird sich herausstellen; vorerst bleibt zu konstatieren, daß damit eine gänzlich andere Art des Eingreifens in Vorgefundenes verbunden ist: galt es früher, die dämmernden Hallen als künstlerisches Environment neu zu beleben, so füllt Exit heute die auf Kunst programmierten Nischen mit Atem und Körper einer entschwindenden Zeit. Art of memory; willkommen im Klub.

Denn natürlich weiß Exit, daß gerade dieses Feld der Gegenwartskunst am Ende des Milleniums gut bestellt ist; Mnemosyne hat Konjunktur, und der innovationsgesättigte Kunstbetrieb räkelt sich in Retrospektiven und Revisionen. Schon früh hat Exit deshalb beschlossen, nicht den Erzählungen der Dinge und Hinterlassenschaften selbst zu trauen, sondern sie quasi als “Mantel seiner Identität” zu nutzen, in den hinein er die Erregung seiner gegenwärtigen Zustände plaziert. Diese Zustände sind immer komplex und assoziativ verwoben. Sie artikulieren sich als scheue Sequenzen in slow motion und in negativer Projektion. Sie blitzen auf als Momente von Zärtlichkeit innerhalb eiserner Wälle, als Andeutungen von Trauer jenseits der Sentimentalität, als Ausbruch von Erschütterung und Zweifel. Als sensitive Verletzlichkeit werden sie sorgfältig und aufwendig verborgen: am Grund von Stahlschächten, die auch Särge sein könnten, im Flackern von computergesteuerten Neonröhren, die ihr eigenes Verlöschen erleuchten, in Sound-Schleifen, deren an- und abschwellender Rhythmus Unruhe und Unheil prophezeit. Im Verbergen wird Exit als Betroffener sichtbar; nicht als abgeklärter Apokalyptiker verkündet er seine Untergänge, sondern als Suchender im Strudel, der immer wieder Dämme der Vergewisserung braucht, die ihn fordern und halten.

Ganz in diesem Kontext steht auch die Arbeit für das Leonhardi-Museum Dresden. Schon der Titel “Der Begriff Angst” signalisiert in vielschichtiger Weise die existentielle Disposition des Autors. Doch wer hier empfindsame Protokolle einer nervösen Psyche erwartet, irrt. Eher schroff und ohne narratives Zugeständnis wurde der Oberlichtsaal des verblichenen Spätromantikers entzaubert. Vier hochkant gestellte Stahltische sowie die schon erwähnten geschlossenen Stahlquader sind akkurat, aber nicht im Sinne der Minimal Art logisch, im Raum plaziert. Desweiteren besetzt eine kleinere Gruppe dieser Körper eine wandnahe Fläche, und zwei, nun wirklich sargähnliche Quader liegen parallel auf dem Boden und enthalten im Inneren die nur hockender Betrachtung zugänglichen Videoprojektionen. Alle stehenden Körper sind mit angeschweißten Lautsprechern ausgestattet, die im Verein mit vier an der Wand  hängenden alten Fabrikbeschallern ein Tongemisch in den Raum speien. Die serielle Struktur, die das Ganze in der Abfolge der Metallblöcke bekommt, hat Lücken, Fehlstellen, ungeklärte Absenzen; ein der jetzigen Wahrnehmung vorausgegangenes Geschehen mag dafür verantwortlich sein, etwa die Kollision verschiedener Benutzungen. Im Umschreiten dieser stählernen Hinterbliebenen dringen die Geräusche, die sie absondern, immer stärker ins Bewußtsein: Propagandastimme und Marschmusik, nahes Flüstern und ferner Betriebslärm, Traumgespräche ... Dann die Videos in tiefer Höhlung: in entschwindender Trübung, wie auf wiedergefundenem Archivmaterial, eine Kamerafahrt vorbei an eben denselben Eisenquadern, end- und ziellos, ein schwankender Gang ins Nichts, der Behälter enthält also nichts als das Bild der nächsten Behälter und immer so fort, Perpetuierung der Verzweiflung ...

Hier könnte ein Schlüssel zu diesem hermetischen Block Till Exits zu finden sein, der auch zum Orakel des Titels paßt. Nicht die Furcht vor etwas Konkretem treibe ihn um, wie er im Gespräch betonte, sondern eher die Angst im Sinne Kierkegaards vor der Freiheit zu möglichen Fehlentscheidungen, vor dem dämonischen Entweder-Oder des Lebens, vor dem Resultat einer schließlich falschen Biografie ... Hier artikuliert Exit auch Befindlichkeiten, die für Angehörige seiner Elterngeneration nach dem Zusammenbruch des volkseigenen Versorgerstaates knallharte Realität wurden und sozusagen den abgelagerten Lebenstoff bilden, auf den er bei seinen Recherchen über die Halden einer stillgelegten Produktion noch immer stößt. Darüber vermittelt aber berühren sie Exits inneres Zentrum: den Zweifel an allem Sichergeglaubten und Vorhersagbarem, ja selbst und gerade am Wert von Erinnerungen. “Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden”, auch das wußte bereits Kierkegaard, nur scheint es für Exit damit kein Bewenden zu haben. Gerade der Prozeß des Rückwärts-Verstehens wird ihm zur Qual und drängt immer wieder zu neuer Formung. Dabei realisiert er dann Räume von metallischer Schärfe, die autoritär und quasi maskulin auftreten und doch nur Behälter sind für das eingeschlossene Fließen von Augenblicken. Dieser feminine Kern sendet seinerseits akustische und visuelle Signale, die den inneren Bildfundus der Betrachter aktivieren: Endlosgänge durch immer engere Raumfluchten, Lautsprecherterror bei verordneten Kundgebungen, Spuren unbegriffener Vorgänge, Berührungen, Schmerz, Stille. “Die eigentliche Arbeit ist immateriell.”

In dieser Installation greift Exit mehrere Elemente auf, die schon frühere Arbeiten strukturierten und so etwas wie Axiome seiner Beschäftigung mit dem “Kodierten Raum” bilden. Dabei wurde die eingangs konstatierte Umkehrung der Handlungsperspektive spätestens dann zur Zäsur, als er das Material der ersten sieben Environments (“Blur”, “Flood”, “Sink of time”, “Beyond I und II”, Ars Lipsensis, “Silence”) in Archivkästen objektivierte und als referentiellen Fundus öffentlich machte, also aus der eigenen Werkstatt verabschiedete. Danach war nichts mehr wie zuvor, denn nun war diese Phase des Arbeitens im Abraum in gewisser Weise abgeschlossen und allgemein verfügbar gemacht worden; die Freiheit nach dem tabula rasa proklamierte er fortan in Ausstellungsräumen. Das begann mit einem Beitrag zur Leipziger Jahresausstellung und erfuhr eine umfassendere Konsolidierung in der “Behälter”-Ausstellung der Londoner MILCH- Galerie, die in engem Zusammenhang zur jetzigen Exposition in Dresden steht. Dort nämlich dienten zwei übereinanderliegende Etagen zur reziproken Verdoppelung der Räume: “die Idee der Umkehrung eines Raumes ... beinhaltete den Wunsch, einen Grad der Irritation zu materialisieren, der auf eine nicht genau zu lokalisierende, aber auch nicht sofort wahrnehmbare Bedrängung hinführt. Mich beschäftigt dabei der Gedanke ..., wie Weite und Enge, Freiheit und Begrenztheit einander ablösen, das heißt hier, in sich identische Paare bilden. Eine Doppelung von Räumen bzw. Elementen ist immer auch ein Auslöser für das Gefühl von serieller Unendlichkeit, welche letztlich aber eine schwer aushaltbare Enge erzeugt.” Eben dieses Gefühl stellte sich, wiewohl nur in einem Raum erzeugt, auch im Leonhardi-Museum ein, und da die verwendeten Materialien im wesentlichen dieselben waren, ist “Der Begriff Angst” durchaus als Fortsetzung und sozusagen als Innenseite von “Behälter” zu sehen. Wohin Till Exit diese Untersuchungen, Überlagerungen und Palimpseste des Raumes noch führen werden, bleibt offen; sicher scheint nur, daß er auch in musealen Räumen den Zweifel institutionalisiert, der ihm zum Agens seiner Lebensbewältigung geworden ist.

Harald Kunde

*Alle nicht ausgewiesenen Zitate entstammen einem unveröffentlichten Manuskript von Till Exit, daß er im Umfeld der “Behälter”-Ausstellung verfaßte.