1994
„Sink of Time“ as part of exposition „Leerstand“, Förderverein der GfZK Leipzig
This installation is a part of the exhibition-project „Leerstand“. It was set up on two floors of the former power substation in Leipzig installation on two floors of the former power substation in Leipzig
concept
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Diese Arbeit entstand im Rahmen des Projektes „Leerstand“ des Förderkreises der Galerie für zeitgenössischen Kunst Leipzig.

 

Die Installation belebt eine seit der Wende bis dahin leerstehende Industriebrache.

Architektonisch interessant ist der Wechsel zwischen großer Halle und der Auffächerung in kleine Zellen.

Der mittlere, nicht zugängliche Raum ist durch einen ca. 130 cm hohen Lichtteppich geflutet. Der Korridor um ihn herum ist begehbar. Dort finden sich in den Nischen insgesamt 22 hängende Monitorröhren auf die durch einfache Dia-Bildwerfer Lichtflächen projiziert werden. Der Betrachter durchschreitet beim Umlaufen des Korridors zwangsläufig diese Lichtkegel, so dass seine Anwesenheit auf den Lichtflächen der Monitore durch kurze Verdunkelung sichtbar wird.

Auf der zweiten Etage kann der Betrachter den vorher nicht zugänglichen Innenraum mit der diesen Raum ausfüllenden Lichtfläche durch eine offene Lichtgitterebene einsehen.

Die Wände in diesem Raum tragen noch die alten Aufschriften wie „Systemblock B“ und ähnliches. Aufflackernde Neonröhren durchstoßen wie ein Geschwür diese Wände.

 

1996, „Sink of Time“ (deutsch), Johannes Kiebranz

veröffentlicht im Buch "Kodierter Raum/Coded Space" 1997

Till Exits Installation ›Sink of Time‹ mit Mitteln der Sprache beschreiben zu wollen, gleicht dem verzweifelten Versuch, eine Sandburg zu retten, die unwiderruflich von der herannahenden Flut unterspült, für immer ausgelöscht wird. Was bleibt, sind bestenfalls Erinnerungsfetzen an eine Raum- und Zeiterfahrung, sind Spuren
von Gefühlen und Gedanken, die man, während der Begehung
der großräumigen Installation empfunden zu haben glaubt.
Im Rückblick sich der Installation zu nähern kann insofern
zunächst nur Bestandsaufnahme dessen sein, was zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort materiell vorhanden war.
Till Exit installierte ›Sink of Time‹ anlässlich der Jahresausstellung des Förderkreises der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst. Die Gesamtausstellung fand zwischen dem 27. Oktober und dem 6. November 1994 in Leipzig statt und stand unter dem programmatischen Titel: ›Leerstand /comfortable conceptions‹. ›Leerstand‹ bezog sich dabei in erster Linie auf konkreten Wohnraum, genauer gesagt, auf ›entwohnte‹ Räumlichkeiten. Die beteiligten Künstler versuchten einen Übergangsbereich zu dokumentieren, der sich als möglicher Zustand zwischen etwas noch nicht ganz Vergangenem und etwas noch nicht ganz Gewordenem beschreiben lässt. Aus diesem Paradigma bricht Till Exit insofern aus, als er einen Raum nutzt, der nur indirekt mit den von anderen gestalteten Räumen in Verbindung steht. Zwischen seiner Installation in einem ehemaligen Leipziger Umschaltwerk für Elektroenergie, dem sogenannten Naundörfchen, und dem eigentlichen Wohnraum lässt sich eine gedankliche Verbindung herstellen, die in vielem der realen Verbindung gleicht, die einst zwischen dem Energiespeicher und der menschlichen Behausung bestand.
Die Installation ›Sink of Time‹ erstreckt sich über zwei Ebenen resp. zwei Etagen des Umschaltwerks. Sie greift die baulich vorgegebene Rechteckstruktur auf. Obwohl großräumig angelegt, vermittelt Sie für den Betrachter durch ihre bewusst konzipierte Verschachtelung ein Gefühl von Enge. Wenngleich der Betrachter sich im Raum befindet, ist Wesentliches nur von ›außen‹ einsehbar. Auffällig ist der auf ein Minimum reduzierte Einsatz von Materialien, was gemeinsam mit dem in die Installation integrierten Gebäudekörper den Eindruck größtmöglicher Sachlichkeit und Strukturiertheit sowie höchster Transparenz vermittelt. Als Materialien setzt Exit Kabel, Gitterroste und Transparentpapier und Fernsehbildschirme, Neonröhren und Projektoren, als Lichtquellen ein.
Beim Betreten der Installation, die im ersten Stock des Trafogebäudes beginnt, fühlt man sich zuerst in einen Raum von hermetischer Dunkelheit geworfen. Der Betrachter ist gezwungen, sich durch einen langen, schmalen Gang, der sich dreiseitig wie ein U um das Kerngehäuse des Umschaltwerks zieht, vorwärtszubewegen. Auf der rechten Seite des Ganges sind auf dem Boden Projektoren, sogenannte Laternae magicae angebracht, die – in Reihe geschaltet – als Lichtpunkte einem noch nicht erkennbaren Fluchtpunkt in der Tiefe des Raumes zustreben. Ihr Licht fällt auf die matten Bildschirme, welche herausgelöst aus den Gehäusen von ehemals Fernsehapparaten, in den Mauernischen hängen.
Das zunächst rein statische Enviroment wird in dem Moment
aufgebrochen, in dem der Betrachter sich nach vorne zu tasten beginnt und damit in einen gegebenen Zustand eindringt. Indem er einbricht, erzeugt er jedoch zugleich einen neuen Zustand, den er vermutlich genauso wenig benennen kann. Die Körperbewegung des Voranschreitenden legt sich schattenrissartig auf die matten Bildschirme. Die gewohnten Verhältnisse werden verkehrt: nicht die übliche Nachrichten- oder Unterhaltungsflut stürzt aus den Röhren auf einen Zuschauer ein, vielmehr ist es dieser, der die Bilder auf den Monitoren erzeugt.
Am Ende biegt der Gang nach links ab und führt an die Stirnseite des eigentlichen Innenraums des Umschaltwerks. Der Zugang zu diesem Raum ist dem Betrachter verwehrt. Lediglich acht Scheiben in einer zweiflügligen Tür gewähren Einblick in das Innere. Aus dieser Perspektive blickt man in eine sich ins Endlose erstreckende rechteckige Halle, die von oben her durch Gitterroste und seitlich von massiven Mauern begrenzt ist. Die Mauern lassen in regelmäßigen Abständen Nischen und Zeichen der ehemaligen technischen Einrichtung erkennen. Etwa in Hüfthöhe des Betrachters spannt sich eine Zwischenebene aus Transparentpapier, welche gleich einer Lichtfläche diesen Innenraum mit all seinen Ausdehnungen ausflutet. Das von ihr ausgehende Licht ist jedoch nicht konstant. Es verändert sich langsam von gleißend bis kaum noch wahrnehmbar. In den Mauern stecken Neonröhren, welche den Raum kurzzeitig in nackte Helligkeit tauchen. Von Zeit zu Zeit verlöschen sie und lassen den Betrachter in völligem Dunkel zurück, blitzen dann aber ebenso unvermittelt und gewaltsam wieder auf.
Beim Blick in den Kernbereich des ehemaligen Umschaltwerks drängen sich im wesentlichen zwei Assoziationen auf: Zunächst nimmt man die Dokumentation eines Raumes wahr, in dem sich immer noch Spuren seiner ehemaligen Funktion finden. Es ist ein Raum, der trotz erfolgter Demontage des technischen Zubehörs in geradezu aberwitziger Weise eindringlich auf seine frühere Bestimmung zurückverweist. Gleichzeitig aber assoziiert man durch die künstlerische Umsetzung architektonischer Grundstrukturen in einen neuen ästhetischen Zusammenhang – vor allem im Zusammenspiel mit dem Licht, den wie zufällig in den Gängen herumliegenden Kabeln und dem Transparentpapierboden, der sich kaum merklich hebt und senkt – das Bild eines geschwächten Organismus, dessen Lebenszeichen bis auf ein oszillographisch messbares Minimum reduziert sind.
Wesentlich an der Installation ist, dass der Betrachter vom eigentlichen Kernbereich ausgesperrt bleibt. In der unteren Etage ist der Einblick lediglich durch die Fenster einer Tür möglich, vom darüber liegenden Geschoß eröffnet sich die Draufsicht durch den sechs Meter darüber liegenden Boden aus Lichtgitterrosten bzw. vertikale Schächte, die in den massiven Seitenmauern nach unten stürzen. Die Konstruktion, obgleich technisch für den Betrachter völlig sicher, suggeriert äußerste Bedrohlichkeit. Nur vorsichtig riskiert man den Blick durch die Schächte nach unten, nur zögernd wagt man den Gang über den gerasterten Boden. Die vertikale Sicht auf den abgeschlossenen Bereich darunter lässt in noch beängstigenderem Maße die bereits im diesem Stock befremdlichen Anzeichen von Organischem zur Geltung kommen. Zudem ist ein Geruch nach feuchtem, modrigem Mauerwerk, altem Öl und Desinfektionsmittel allgegenwärtig, verweht von dem leichten Luftzug, der durch die mit dunkler Folie abgehängten offenen Außenfenster des Umschaltwerks dringt. Irgendwann – obwohl bereits von Anfang an wahrnehmbar – dringen auch Geräusche als integrierter Bestandteil der Installation ins Bewusstsein. Was zunächst wie gedämpfter Straßenlärm von draußen durch die Fenster zu kommen scheint, schwillt pulsierend zu einem Murmeln an, dessen Ursprung jedoch im Ungewissen bleibt.
Die Installation ›Sink of Time‹ zwingt den Betrachter zu ständigem Perspektivwechsel. Es gibt keinen festen Orientierungspunkt innerhalb der Installation. Die Teilelemente und ihre Integration in die Gesamtarbeit rufen beim Betrachter vorrangig fließende, sich ständig verändernde Assoziationen hervor. Es ist einem im extremen Maße verwehrt zu identifizieren. Der Wunsch, begrifflich zu denken, wird primär. Doch diesem subjektiven Verlangen entzieht sich Exits Arbeit radikal. Unser Wahrnehmen, Empfinden, Denken und Nachdenken wird in einen Zwischenraum geworfen.
Exits Arbeit birgt jedoch eine konkrete, allgegenwärtige Spannung, indem er den Tatbestand der endgültigen Entkernung eines funktionalen Gebäudes durch die besondere Hervorhebung der noch verbliebenen architektonischen Strukturen dokumentiert, gleichzeitig aber auch schon auf den Zustand des Danach hinausweist. In diesem Übergangsbereich oszillieren wir, wie der im Kernbereich der Installation eingeschlossene Organismus, zwischen dem, was war, und dem, was sein wird, ohne dabei das Moment des Gegenwärtigen fassen zu können. Die Gegenwärtigkeit ist sozusagen in ihrer Abwesenheit anwesend und umgekehrt. Das Verborgene als zugleich auch immer Unverborgenes mitzudenken ist Teil des Wahrheitsgeschehens, das Exit in seiner Installation zur Anschauung bringt.
Obgleich die Installation von Till Exit die De(kon)struktion eines ehemals nützlichen Raumes dokumentiert, enthält sie dennoch nicht ausschließlich destruierende Elemente, denn nicht die Installation ist destruierend, sondern das, was mit dem konkreten Raum geschehen ist und qua künstlerischer Umsetzung ins Bewusstsein gerufen wird: der radikale, pragmatische Eingriff von außen, der zerstört, um Raum zu schaffen für etwas Neues. Indem wir uns bewusstwerden, dass der konkrete wie auch der installierte Raum zeitlich instabil und vergänglich sind, wird ontologisch konkretisiert, was Vergänglichkeit an sich bedeutet. Mehr noch, uns wird bewusst, dass der materielle Körper der Installation nicht nur einen räumlichen, sondern auch einen zeitlichen Aspekt aufweist. Der Raum befindet sich, ähnlich unserem Denken und Empfinden, in einem Zwischenbereich des steten Werdens und Vergehens. Die Vielschichtigkeit und die Verschachtelung der räumlichen Strukturen
sind zeitlich nachvollziehbar auf der Achse von Vergangenheit, somit Vergehen, und Zukünftigem, somit Werdendem. ›Sink of Time‹ darf in diesem Sinne auch als Installation von Zeit verstanden werden, die sich verräumlicht hat.

Johannes Kiebranz — Leipzig, Frühjahr 1996